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Tagessatzhöhe bei Hartz-IV-Empfängern

Zur Ermittlung des Nettoeinkommens i. S. d. § 40 Abs 2 S 2 StGB sind bei Leistungsempfängern nach dem SGB II neben dem Regelbedarf (§ 20 SGB II in Verbindung mit den Bekanntmachungen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales über die Höhe der Regelbedarfe) auch Leistungen gemäß § 22 SGB II (Bedarfe für Unterkunft und Heizung) einzubeziehen. Bei der Bemessung der Geldstrafe und der Anordnung von Zahlungserleichterungen ist darauf zu achten, dass dem Leistungsempfänger monatlich 70 % des Regelbedarfs als unerlässliches Existenzminimum verbleiben.

Insoweit befand das Oberlandesgericht Braunschweig einen mit 15, – € festgesetzte Tagessatzhöhe als nicht zu beanstanden, weil das Gericht rechtsfehlerfrei vom Nettoeinkommen des Angeklagten ausgegangen ist (§ 40 Abs. 2 S. 2 StGB) und dieses zumindest mit 450, – € ansetzen durfte. In dem genannten Betrag von 450, – € sind zunächst die im angefochtenen Urteil enthaltenen Leistungen nach Hartz IV (= SGB II) in Höhe von 345, – € im Jahr 2013 (ab Januar 2014: 353, – €) enthalten. Bei diesen Beträgen handelt es sich um die Zahlungen, die an einen Sozialleistungsempfänger zu entrichten sind, der mit einem weiteren, volljährigen Partner in einer Bedarfsgemeinschaft lebt (vgl. § 20 Abs. 4, Abs. 5 S. 1, S. 3 SGB II in Verbindung mit den Bekanntmachungen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales über die Höhe der Regelbedarfe [RBBek] vom 18.10.2012; und vom 16.10.2013).

Außerdem ist es anerkannt, dass bei der Ermittlung des Nettoeinkommens weitere Sachbezüge zu berücksichtigen sind. Zu diesen Sachbezügen gehören solche nach § 22 SGB II (Unterkunft und Heizung), die der Angeklagte ebenfalls erhält. Das Amtsgericht hat im angefochtenen Urteil insoweit zwar keine konkreten Beträge genannt. Es ist jedoch auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen sicher davon auszugehen, dass die Summe des Regelbedarfs und der Bedarfe i. S. d. § 22 SGB II zumindest den Betrag von 450, – € erreicht.

Dass der Angeklagte Leistungen nach dem SGB II bezieht, gibt aus revisionsrechtlicher Sicht keinen Anlass, die Tagessatzhöhe herabzusetzen. Die Auffassung des Angeklagten, der Regelbedarf nach dem SGB II i. V. m. der RBBek sei mit dem Betrag gleichzusetzen, der zum Lebensbedarf unerlässlich sei, geht – dies ergibt sich aus § 43 SGB II – fehl. Der Gesetzgeber gestattet dem Sozialleistungsträger in der genannten Vorschrift, mit Erstattungsansprüchen gegen den Anspruch auf den Regelbedarf aufzurechnen (§ 43 Abs. 1 SGB II), und beschränkt die Aufrechnung lediglich der Höhe nach auf maximal 30 % des für den Leistungsberechtigten maßgeblichen Regelbedarfs. Nur der verbleibende Restbetrag von 70 % (“physisches Existenzminimum”) ist nach der Bewertung des Gesetzgebers für die Sicherung des Lebensbedarfs unerlässlich. Der darüber hinausgehende Teil entfällt auf die soziokulturelle Seite des Existenzminimums. Auf das “soziokulturelle Existenzminimum” darf der Sozialleistungsträger unter eingeschränkten Voraussetzungen im Gemeinwohlinteresse zugreifen. Damit dem Angeklagten in jedem Fall der unerlässliche Lebensbedarf von derzeit 247, 10 € (353, – € x 0, 7 = 247, 10 €) verbleibt, hat das Oberlandesgericht gemäß § 42 StGB die tenorierte Ratenzahlungsanordnung getroffen.

Dem Angeklagten ist zwar zuzugeben, dass es im Einzelfall bei besonders einkommensschwachen Personen geboten sein kann, nicht nur Zahlungserleichterungen anzuordnen, sondern die Tagessatzhöhe zu senken. Es ist jedoch nicht zu beanstanden, dass das Amtsgericht, dessen Strafzumessung nur in eingeschränktem Maß überprüfbar ist, von einer weiteren Absenkung der Tagessatzhöhe abgesehen hat.

Ob es regelmäßig geboten ist, die Tagessatzhöhe auf das vierfache der Differenz zwischen unerlässlichem Lebensbedarf und Regelbedarf zuzüglich Sachbezügen zu begrenzen, muss das Oberlandesgericht nicht entscheiden. Der Tagessatz von 15, – € ist auch nach dieser Rechtsprechung nicht zu beanstanden. Die Differenz zwischen unerlässlichem Lebensbedarf und Regelbedarf zuzüglich Sachbezügen beträgt 811, 60 € (450,- € – 247,10 € = 202,90 € x 4 = 811,60 €) und übersteigt damit die verhängte Geldstrafe von 750,- € (50 TS zu je 15,- €).

Das Oberlandesgericht tendiert allerdings dazu, der zitierten Rechtsprechung der Oberlandesgerichte Stuttgart und Frankfurt nicht zu folgen, weil diese im Gesetz keine Stütze findet. Die in rechtlicher Hinsicht gebotene Begrenzung dürfte stattdessen ebenfalls dem SGB II zu entnehmen sein, wonach eine Aufrechnung gegen den Anspruch auf den Regelbedarf aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nur 3 Jahre lang möglich ist (§ 43 Abs. 4 S. 2 SGB II), um den Sozialleistungsempfänger nicht dauerhaft vom soziokulturellen Existenzminimum auszuschließen. Eine Geldstrafe wird deshalb bei Leistungsempfängern nach dem SGB II regelmäßig unverhältnismäßig sein, wenn der Angeklagte sie nicht innerhalb von 3 Jahren begleichen kann, ohne auf den unerlässlichen Lebensbedarf zugreifen zu müssen.

Oberlandesgericht Braunschweig, Beschluss vom 19. Mai 2014 – 1 Ss 18/14

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