Geldstrafen stehen der Stundung der Verfahrenskosten gem. § 4a InsO nicht entgegen, wenn der Schuldner bei wertender Betrachtung eine Chance für eine wirtschaftlichen Neustart erhält.
Eine gewichtige Bedeutung kommt dabei der Höhe der Geldstrafe zu.
Unter den Begriff der Geldstrafen i.S.d. § 302 Nr. 2 InsO fallen nicht die Verfahrenskosten.
Im Rahmen des § 302 Nr. 1 InsO ist umstritten, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen eine Stundung bei deliktischen Forderungen ausscheidet. Rechtsprechung und Literatur beantworten diese Frage unterschiedlich.
Das Amtsgericht Göttingen hat im Beschluss vom 14.10.2015 bei dem Stundungsantrag eines Strafgefangenen mit einer Gesamtverschuldung von ca. 102.000 € und einem deliktischen Forderungsanteil von 17.500 € aus Betrugsstraftaten (ca. 17,2% der Gesamtverschuldung) folgendes ausgeführt: Es fehlt auch nicht das Rechtsschutzinteresse für eine Restschuldbefreiungsantrag deshalb, weil ein Teil der Forderungen aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung stammt. Stammen die Forderungen im Wesentlichen aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung, soll eine Stundung der Verfahrenskosten gemäß § 4a InsO ausscheiden. Unklar ist allerdings, welcher Prozentsatz zugrunde zu legen ist. Die Praxis lässt schon 45 % genügen. Teilweise wird auch auf das Verhältnis von Höhe der Deliktsforderungen und persönlichen sowie wirtschaftlichen Verhältnissen des Schuldners abgestellt. Zuletzt hat das LG Hannover bei einem Anteil der deliktischen Forderungen von 55,55 % eine Stundung abgelehnt. Diese Rechtsprechung ist abzulehnen. Eine prozentuale Grenzziehung ist problematisch, eine Wertung anhand der Gesamtumstände wenig verlässlich. Zudem sind die Erkenntnismöglichkeiten des Insolvenzgerichtes eingeschränkt und von Zufällen (oder freimütigen Angaben des Schuldners) abhängig.
Im Beschluss vom 09.12.2015 hat das Amtsgericht Göttingen diese Rechtsprechung auch bei einem Anteil der deliktischen Forderung von über 75 % (ca. 24.000 € von 30.000 €) angewandt und ergänzend darauf hingewiesen, dass unklar ist, ob Deliktsgläubiger die Forderung überhaupt als deliktische Forderung anmelden und in welchem Umfang bei einer Anmeldung der Anteil an der Gesamtverschuldung sich beläuft, da erfahrungsgemäß nicht alle vom Schuldner angeführten Forderungen auch tatsächlich angemeldet werden.
Diese Rechtsprechung lässt sich nur eingeschränkt auf die vorliegende Fallgestaltung übertragen. Ein gewichtiger Unterschied besteht darin, dass die Verbindlichkeiten gem. § 302 Nr. 2 InsO kraft Gesetzes von der Restschuldbefreiung ausgenommen sind, ohne dass es einer Anmeldung und ggf. klagweisen Feststellung bedarf.
Abzustellen ist darauf, ob der Schuldner bei Erteilung der Restschuldbefreiung eine realistische Chance für eine wirtschaftlichen Neustart erhält. Dabei ist folgendes zu bedenken:
- Unklar ist, in welcher Höhe Forderungen angemeldet werden.
- Unklar kann sein, ob Forderungen gem. § 302 Nr. 1 InsO angemeldet und festgestellt werden.
- Die Prognose der zukünftigen Einkommens- und Vermögensverhältnisse kann sich schwierig gestalten. Eine ungeprüfte Übernahme der Vermutung des § 309 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 InsO – gleichbleibende Einkommens- und Vermögensverhältnisse – kommt nicht generell in Betracht.
- Nach Erteilung der Restschuldbefreiung können sich die Befriedigungsaussichten der privilegierten Gläubiger gem. § 302 InsO erhöhen.
- Im frühen Verfahrensstadium der Stundungsbewilligung sind die Erkenntnismöglichkeiten des Insolvenzgerichtes eingeschränkt.
Eine Aussichtslosigkeit wird sich nur in Ausnahmefällen feststellen lassen. Dabei kommt der Höhe der Verbindlichkeit gem. § 302 Nr. 2 InsO eine gewichtige Bedeutung zu.
Im vorliegenden Fall beläuft sich die Geldstrafe auf 1.110 €. Nur diese, nicht aber die Verfahrenskosten sind von der Restschuldbefreiung ausgenommen. Weitere privilegierte Gläubiger sind nicht ersichtlich. Stundung ist zu bewilligen.
Amtsgericht Göttingen, Beschluss vom 14. Dezember 2016 – 74 IK 352/16
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