Wird durch Anwendung eines vertypten Strafmilderungsgrundes, der die Untergrenze des Strafrahmens einer Strafnorm, welche nur Freiheitsstrafe mit erhöhter Mindeststrafe androht, auf das gesetzliche Mindestmaß abgesenkt, ist wahlweise auch Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen möglich.
Allerdings benennt das Gesetz sowohl bei dem Normalstrafrahmen gemäß § 224 Abs. 1 StGB als auch bei dem gemäß §§ 27 Abs. 2 Satz 2, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen jeweils nur Freiheitsstrafe als Strafart, nicht die Möglichkeit der Verhängung von Geldstrafe. Gleichwohl stand dem Tatgericht gemäß Art. 12 Abs. 1 EGStGB die weitere Strafart zur Verfügung. Auf § 47 Abs. 2 StGB kommt es hier nicht an.
Der Gesetzgeber wollte mit der Regelung des Art. 12 Abs. 1 EGStGB erreichen, dass neben der Androhung einer Freiheitsstrafe ohne besonderes Mindestmaß stets die wahlweise Androhung von Geldstrafe tritt. Dadurch wird die Möglichkeit eröffnet, in allen diesen Fällen auch Geldstrafen zu verhängen, ohne auf § 47 Abs. 2 StGB zurückgreifen zu müssen. Art. 12 Abs. 1 EGStGB kommt deshalb immer dann zur Anwendung, wenn ein Fall vorliegt, in dem das Gesetz keine erhöhte Mindeststrafe vorsieht. Nur für Fälle der Anwendbarkeit eines Strafrahmens mit erhöhtem Mindestmaß bleibt alleine § 47 Abs. 2 StGB maßgeblich.
Entscheidend ist hiernach, ob Art. 12 Abs. 1 EGStGB auch anzuwenden ist, wenn zwar der Normalstrafrahmen des anzuwendenden Straftatbestands eine erhöhte Mindeststrafe vorsieht, dieser Strafrahmen im Einzelfall aber durch einen vertypten Milderungsgrund so abgesenkt wird, dass er im Ergebnis bei der gesetzlichen Mindeststrafe beginnt. Im vorliegenden Fall wird der Strafrahmen des § 224 Abs. 1 – 1. Alt. – StGB, der Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren vorsieht, gemäß §§ 27 Abs. 2 Satz 2, 49 Abs. 1 StGB auf Freiheitsstrafe von einem Monat bis zu sieben Jahren und sechs Monaten abgesenkt, wonach die Strafuntergrenze dem gesetzlichen Mindestmaß im Sinne von § 38 Abs. 2 StGB entspricht.
Der Bundesgerichtshof neigt zu der Ansicht, dass für die Frage, ob eine Strafandrohung ohne erhöhtes Mindestmaß vorliegt, ebenso wie bei § 47 Abs. 2 StGB stets der im konkreten Fall anzuwendende Strafrahmen maßgeblich ist. Er bejaht diese Frage jedenfalls für den Fall, dass ein vertypter Milderungsgrund eingreift, der zwingend zur Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 1 StGB führt und danach kein erhöhtes Mindestmaß mehr aufweist. Ob dasselbe auch für einen fakultativen Milderungsgrund oder einen Sonderstrafrahmen für minder schwere Fälle gilt, muss hier nicht entschieden werden. Die Strafkammer hat das Vorliegen eines minder schweren Falles im Sinne von § 224 Abs. 1 – 2. Alt. – rechtsfehlerfrei verneint.
Die Annahme, dass es auf den im Einzelfall anwendbaren Strafrahmen ankommt, entspricht dem Prüfungsweg. Der Tatrichter hat bei der Rechtsfolgenentscheidung zuerst über den Strafrahmen, dann über Strafart und Strafhöhe zu entscheiden. Im Anschluss an die Strafrahmenwahl steht fest, ob im konkreten Fall ein Strafrahmen gilt, der eine erhöhte Mindeststrafe vorsieht oder nicht. Entspricht sodann die Untergrenze des anzuwendenden Strafrahmens dem gesetzlichen Mindestmaß im Sinne von § 38 Abs. 2 StGB, so ist nach Wortlaut und Zweck des Art. 12 Abs. 1 EGStGB die Möglichkeit der Verhängung einer Geldstrafe anstelle von Freiheitsstrafe eröffnet. Das Tatgericht hat dann eine Auswahl zu treffen, ohne dass dabei allerdings ein Vorrang von Geldstrafe vor kurzer Freiheitsstrafe gilt, wie er in § 47 Abs. 2 StGB vorgesehen ist, oder von Freiheitsstrafe, die nach dem Straftatbestand alleine zur Anwendung kommen soll, vor Geldstrafe, die Art. 12 Abs. 1 EGStGB alternativ zur Verfügung stellt. Die Entscheidung über die Strafart liegt vielmehr im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters. Wählt er in dieser Konstellation eine Geldstrafe, so besteht das Höchstmaß dieser Strafe gemäß § 40 Abs. 1 StGB aus 360 Tagessätzen, nicht aus 179 Tagessätzen, wie es nach § 47 Abs. 2 Satz 2 StGB der Fall wäre.
Mit der Verhängung einer Einzelgeldstrafe von 180 Tagessätzen wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung gegen die Angeklagte hat das Landgericht daher nicht gegen die Bezeichnung der Strafart in § 224 StGB als Freiheitsstrafe verstoßen.
Einer näheren Begründung der Auswahl einer anderen Strafart im Urteil des Landgerichts bedurfte es nicht. § 267 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 StPO, der in Fällen des § 47 Abs. 2 StGB nur für die Abweichung von der Regel der Verhängung einer Geldstrafe anstelle einer kurzen Freiheitsstrafe eine Begründung verlangt, greift auch bei der Anwendung von Art. 12 Abs. 1 EGStGB nicht ein, der kein Regel- und Ausnahmeverhältnis der Strafarten vorsieht.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 17. März 2015 – 2 StR 379/14